Aussenräume für alle Generationen
"Spielplätze werden oft nur für Kinder konzipiert"
Im besten Fall bieten Aussenräume von Wohnsiedlungen einen Mehrwert für alle Generationen. Silvio Stoll, langjähriger Projektleiter bei der Stiftung Hopp-la erklärt, wie man Begegnungen zwischen jüngeren und älteren Menschen fördern kann, wie es gelingt, mehr Bewegung in ihren Alltag zu bringen und wieso es nicht genügt, nur Bewegungselemente aufzustellen.
Silvio Stoll, bis Sommer 2024 als Projektleiter bei Hopp-la beschäftigt, hat breite Erfahrung darin, was es braucht, damit Freiräume zu generationenverbindenden Bewegungs- und Begegnungsräumen werden. Er hat den Leitfaden “Bewegungsräume für alle Generationen” verfasst und während acht Jahren in der ganzen Schweiz intergenerative Bewegungsprojekte begleitet. Er wohnt mit seiner Partnerin in Aarau.
Wohnen: In attraktiven, einladenden Aussenräumen halten sich Menschen gerne auf. Wodurch zeichnen sich solche Orte aus?
Silvio Stoll: Meiner Ansicht nach sind sie in Bezug auf Topografie, Wegführung oder Bepflanzung sorgfältiger gestaltet als andere. In topfebenen Aussenräumen, fühlen sich viele weniger wohl als in sanft modellierten Hügellandschaften, die mehr Schutz bieten und ‘heimeliger’ sind. Auf flach gemähten Wiesen lässt's sich zwar herumrennen und Ball spielen - falls dies erlaubt ist - aber für andere Nutzungen ist das Abstandsgrün in Wohnsiedlungen kaum interessant.
Was liegt denn eher im Trend als die recht langweiligen Grünflächen?
Naturnahe, vielfältig nutzbare und gut beschattete Aussenräume mit Bäumen, Sitz- und Bewegungsmöglichkeiten sind attraktiv. Wertvoll sind auch Begegnungszonen wie Feuerstellen mit Tischen und Bänken. Für ältere Personen, Leute im Rollstuhl oder mit Kinderwagen ist es wichtig, dass die Orte barrierefrei gestaltet sind. Sie sollten gut erreichbar, vom Strassenverkehr aber auch klar abgetrennt sein.
Gerade in Bezug auf die Aussenräume ihrer Wohnsiedlungen haben Kinder, Jugendliche, Erwachsene und ältere Menschen unterschiedliche Bedürfnisse und Ansprüche. Worauf legen die verschiedenen Zielgruppen Wert?
Besonders wichtig ist, dass sie sich die Aussenräume aneignen und sie verändern dürfen. Für Kinder ist es schön, wenn sie Strassen bzw. Verbindungswege mit Kreide bemalen, auf unebenen Wegen herumfahren oder sich Trampelpfade durchs Gras suchen können. Zwar hat jede Altersgruppe unterschiedliche Wünsche. Aber viele überschneiden sich auch. So sind Kinder und Senior:innen darauf angewiesen, dass es in unmittelbarer Nähe WC-Anlagen und Trinkwasser gibt. Auch Sitzgelegenheiten, genügend Schatten, Witterungsschutz und die gefahrlose Erreichbarkeit sind für alle wichtig. Es ist wünschenswert, dass in öffentlichen Räumen alle Generationen berücksichtigt werden.
Aufgrund der demographischen Entwicklung wird die Zahl der Menschen über 65 Jahren stark ansteigen. Wie altersgerecht sind Aussenräume oder öffentliche Grünanlagen hierzulande gestaltet?
Meiner Ansicht nach wird in öffentlichen Aussenräumen schon vieles gut gemacht. Aber es gibt noch Luft nach oben. Positiv ist zum Beispiel, dass seniorenfreundliche Sitzbänke immer verbreiteter sind; ihre Sitzfläche ist höher und die Armlehnen dienen als Stütz- und Aufstehhilfe. Genügend Sitzgelegenheiten sind für ältere und weniger mobile Menschen sehr wichtig, damit sie sich von längeren Gehstrecken erholen können. Praktisch sind zudem Treppen mit Handläufen. Und dass immer mehr Aussenräume barrierefrei zugänglich sind, ist ebenfalls wertvoll. Davon profitieren auch Leute mit Gehstock, Rollator oder Kinderwagen.
Die Stiftung Hopp-la hat mit Pro Juventute einen Leitfaden für die partizipative Planung, Umsetzung und Belebung von generationenverbindenden Aussenräumen erstellt. Warum möchten Sie speziell solche Räume fördern?
Wir plädieren für mehr aktives Miteinander statt Nebeneinander. Es ist sehr wichtig, dass Seniorinnen und Senioren nicht allein zu Hause bleiben, sondern draussen am sozialen Leben teilhaben. Kinder und Senior:innen profitieren gleichermassen von einer Begegnung. Ältere Menschen erleben die Energie, den Bewegungsdrang und die Freude der Kinder als ansteckend. Die Kinder wiederum profitieren von der Lebenserfahrung der Älteren. Ein gutes Beispiel für eine schöne Aktivität sind Bepflanzungsaktionen: wenn Alt und Jung gemeinsam Hochbeete bepflanzen, entstehen schöne Begegnungen. Die Älteren können ihr Wissen weitergeben, die Jüngeren erfahren mehr über die Pflanzenwelt und man ist draussen gemeinsam aktiv. Dieses Miteinander der Generationen verbessert die Generationenbeziehungen und baut Vorurteile ab.
Die Stiftung Hopp-la setzt sich primär für generationenverbindende Bewegungsprojekte ein. Weshalb?
Der Stiftung Hopp-la ging es immer darum, Alt und Jung gemeinsam in Bewegung zu bringen. Bewegung und Begegnung sind eng miteinander verbunden; wer sich draussen mit anderen bewegt, begegnet sich automatisch. Eine Studie zum Thema ‘Generationen in Bewegung’ konnte aufzeigen, dass generationenverbindende Bewegungsprojekte die physische Entwicklung und die sozialen Ressourcen von Kindern fördern und die Leistungsfähigkeit, das Wohlbefinden und die Lebensqualität von älteren Menschen steigern können.
Wie sollten Freiräume ausgestattet sein?
In Bewegungsräumen für alle Generationen steht das gemeinsame, spielerische Bewegen im Mittelpunkt. Die Bewegung soll Spass bereiten. Kniebeugen zu machen ist für die meisten mühsam. Aber wenn diese Bewegungen in ein Spiel verpackt sind, fällt es gar nicht auf, dass das Gleichgewicht trainiert, Sturzprävention betrieben und gleichzeitig der soziale Austausch gepflegt wird. Wir empfehlen daher keine Trainings- oder Seniorenfitnessgeräte, sondern niederschwellige und multifunktionale Spiel-, Bewegungs- und Balancierelemente wie bewegliche Labyrinthe, Stehwippen, Wackelbänke oder Partnerschaukeln, die gemeinsam genutzt werden können. Die Stiftung Hopp-la hat solche Elemente als Best-Practice-Umsetzungsideen mitentwickelt.
Was ist mit Pingpongtischen und Ähnlichem?
Wie alle Spiele, die miteinander gespielt werden, eignen sich auch Tischtennistische als verbindende Bewegungselemente. Auch Bodenspielfelder wie Schach, Mühle oder Tic-Tac-Toe ziehen jüngere wie ältere Menschen an. Praktisch bei Boccia oder Pétanque ist, dass dafür nur ein Kiesplatz benötigt wird. Man könnte zudem eine Tafel aufstellen um die Bevölkerung darüber zu informieren, dass sie die Boulekugeln im Bistro ausleihen können. Auch Pingpongturniere bieten sich an. Wenn jeden Mittwoch eine Person vor Ort ist, die die Leute zum Spielen animiert, ist dies sehr wertvoll. Mit solchen Massnahmen können Aussenräume nachhaltig belebt werden. Auch Bistros und Kioske tragen dazu bei, dass sich die Aufenthaltsdauer der Leute vor Ort verlängert.
Sie haben bisher vor allem von Kindern und Senior:innen gesprochen: wo bleiben die Jugendlichen in diesen Bewegungsräumen?
Jugendliche suchen sich eher Rückzugsorte, wo sie ihre Ruhe haben und für sich sein können. Darum stehen sie bei den generationenverbindenden Massnahmen nicht im Fokus. Dennoch ist es wichtig, sie bei der Planung von Aussenräumen mitzudenken und auch Bereiche für sie zu schaffen. Pumptracks oder Outdoor-Trainingsanlagen zum Beispiel. Auch Pingpongtische funktionieren für diese Zielgruppe. Grundsätzlich sind verbindende Elemente bedeutsam für alle. Aber es braucht auch Elemente und Orte, die einer einzelnen Altersgruppe zugutekommen.
Gibt es gelungene Beispiele von generationenverbindenden Bewegungsräumen, die bereits umgesetzt wurden?
Mit dem Pilotprojekt im Basler Schützenmattpark hat für Hopp-la alles angefangen. Highlight ist dort ein Wasserspiel, dessen Fontänen nur spritzen, wenn die Erwachsenen rundherum in die Pedalen treten. Solche Wasserspiele gibt es mittlerweile in zahlreichen Aussenräumen in der Schweiz.
Ein schönes Beispiel ist auch der umgestaltete Aussenraum eines Alterszentrums im aargauischen Villmergen, der die Öffentlichkeit als attraktiver Ort zum Verweilen anlockt. Neben einem Sinnespark wurden dort Feuerstellen, Biotope, ein Naturlernpfad, eine Kneippstation, ein Restaurant und diverse Bewegungsstationen erstellt. Auch der Generationenpark Büel im zugerischen Cham, der früher ein Parkplatz war, ist heute mit Kletter-, Balancier- und anderen Bewegungselementen vollgepackt. Der neue Quartiergarten mit Generationenspielgeräten bei der Genossenschaftsüberbauung Westfeld in Basel bietet für die Bevölkerung ebenfalls einen grossen Mehrwert.
Welche Stolpersteine tauchen in der Umsetzung solcher Projekte oft auf? Und was sollen Planende besonders berücksichtigen?
Die besten Begegnungsräume sind wohl jene, bei denen die Bevölkerung schon früh in den Prozess einbezogen wurde, bei denen sie von Beginn weg mitreden und ihre Bedürfnisse äussern konnte. Beim Pilotprojekt in Basel hat man die Partizipation am Anfang vernachlässigt. Die Leute haben nicht verstanden, dass die Bewegungsgeräte auch von den Erwachsenen benutzt werden sollen. Als wir Sportstudierende einsetzten, um das den Parkbesuchern zu erklären, änderte sich das bald. Die Kommunikation ist also sehr wichtig, genauso wie die fortwährende Qualitätssicherung: Die Projekte sind nach der Eröffnung nicht abgeschlossen. Allein mit dem Aufstellen von Spiel- und Bewegungselementen ist es nicht getan. Regelmässige Aktivitäten und Belebungsmassnahmen vor Ort sind von grosser Bedeutung. Auch in den Unterhalt kann die Bevölkerung miteinbezogen werden.
Dieses Interview wurde von der Zeitschrift wohnen initiiert und ist auch dort publiziert worden:
https://www.zeitschrift-wohnen.ch/