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Stiftung Hopp-la

Lesedauer ca. 10 Min.

Hopp-la vollbringt den Brückenschlag zwischen der jüngsten und den älteren Generationen

Interview

Hopp-la vollbringt den Brückenschlag zwischen der jüngsten und den älteren Generationen

Prof. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello, emerierte Professorin und Entwicklungspsychologin, hat sich intensiv mit dem mittleren und höheren Lebensalter beschäftigt.

Sie veröffentlichte zahlreiche Forschungsarbeiten zum Thema Intergenerationelle Beziehungen, in denen sie die Entwicklung, die Herausforderungen und die Ressourcen von Familien über die Lebensspanne untersuchte.

Frau Perrig-Chiello, im Vorgespräch sprachen Sie davon, dass Ihnen für Ihre zahlreichen Forschungen öffentliche Gelder zur Verfügung gestellt wurden und dass sie mit ihren Büchern einen Teil ihres  Wissens an die Gesellschaft zurückgeben wollen. Im Februar 2024 erschien Ihr neustes Buch mit dem Titel 'Own your age'. Worum geht es in diesem Buch? 

Das Buch Own your age - Stark und selbstbestimmt in der zweiten Lebenshälfte – thematisiert die grossen Übergänge – Lebensmitte, Pensionierung und Übergang ins hohe Alter – die verbundenen Herausforderungen, die Chancen und die Bewältigungsstrategien.  Es geht um Fragen wie: Gibt es eine Midlife-Krise und falls ja, wie bewältigt man sie? Wie gestaltet man am besten die Zeit nach der Pensionierung? Was erhält uns gesund und zufrieden bis ins hohe Alter?

Was braucht es, um diese Lebensübergänge mit 40, 60, 80 gut zu bewältigen?

Ich gehe von der Positiven Psychologie aus. Das heisst, ich schaue, was Menschen stark macht und nicht, was sie krank macht. Natürlich geschieht dies nicht blauäugig; ich gehe sehr wohl auf die Herausforderungen ein, analysiere sie und bilanziere dann, welche Charakterstärken es am besten braucht, um die spezifischen Herausforderungen positiv bewältigen zu können.

Können Sie diese Charakterstärken benennen?

Die Positive Psychologie geht von insgesamt von 24 Charakterstärken aus, die sich auf sechs Themenfelder beziehen: Weisheit, Mut, Liebe, Spiritualität, Gerechtigkeit, Mässigung. Je nach Lebensphase sind bestimmte Stärken besonders gefragt, in der Lebensmitte etwa die Selbstregulation und Selbstverantwortung. Viele Menschen haben in dieser Phase den Eindruck, bislang viele Kompromisse eingegangen und weitgehend fremdgesteuert gewesen zu sein. Mit der Übernahme von Selbstverantwortung gelingt es, eigene Standards festzulegen. Sich immer wieder selbst zu definieren ist äusserst wichtig. In späteren Lebensphasen gewinnen Charakterstärken wie Weisheit und Spiritualität an Bedeutung.

…welche Stärken sind ausserdem hilfreich?

Psychisch resiliente Menschen haben nachweislich rund sieben Charakterstärken, die für sie typisch sind. Als entscheidend erweisen sich Liebesfähigkeit, Hoffnung, Dankbarkeit, aber auch Neugier und Lernbereitschaft. Mit zunehmendem Alter wird die Vergebungsbereitschaft wichtig. Dass wir uns versöhnen mit der eigenen Lebensgeschichte. So gelingt es besser, ‘Loslassen’ zu können. Hilfreich ist auch Humor - eine wichtige Stärke gerade dann, wenn es uns nicht so gut geht. Genau dann entfaltet der Humor seine positive physiologische und psychologische Wirkung.

Ihr Hinweis auf das Neugier und  Lernen gab das Stichwort: Sie präsidierten nach Ihrer Emeritierung während 5 Jahren die Senioren-Uni Bern und sind auch heute noch deren Vizepräsidentin. Welche positiven Wirkungen hat es für Senior:innen, dass sie ihr Wissen erweitern, dass sie geistig mobil und aktiv bleiben.

Ich kann nicht genügend unterstreichen, wie wichtig lebenslanges Lernen für die soziale Teilhabe und für die Erhaltung der Autonomie ist. Mitreden und mitgestalten zu können, ist für die heutigen Senior:innen unverzichtbar. Das schnelle Veralten von Wissen und der rasante technologische Fortschritt bedingen ein stetes Dranbleiben. Heutige Senior:innen wollen denn auch nicht abgehängt werden. Wissen ist zentral - es erlaubt, überhaupt mit dieser Welt zurecht zu kommen; 

"Mitreden und mitgestalten zu können ist für die heutigen Senior:innen unverzichtbar."

Darüber hinaus geht es um sozialen Austausch und die Teilnehmenden sagen  mir immer wieder, die Senioren-Uni sei ihr ‘Ort der Begegnung’. So entfliehen sie der Einsamkeit und haben weiterhin eine Aufgabe.

Orte der Begegnung für alle Generationen, dafür macht sich auch Hopp-la stark. Sie waren bereits bei der Grundsteinlegung im Schützenmattpark Basel zugegen, wo der erste generationenverbindende Park eröffnet wurde. Welchen Stellenwert haben für Sie - gesellschaftlich gesehen - Beziehungen zwischen Jung und Alt?

Es ist unbestritten, dass die Beziehungen zwischen den Generationen ein wichtiges gesellschaftliches Anliegen ist und es immer schon war. Ich habe aber etwas gegen die Bezeichnung «Jung und Alt». Wir leben in einer Vier-Generationengesellschaft. Wer also ist jung? Wer alt? Nun, die Generationenverhältnisse haben sich verändert und die Beziehungen sind komplexer geworden; wir wissen immer weniger voneinander. Auf gesellschaftlicher Ebene beobachten wir eher ein Nebeneinander als ein Miteinander. Hopp-la macht deshalb etwas ganz Wichtiges: Sie vollbringt eine Art Brückenschlag zwischen der jüngsten und der ältesten Generation. Dass Generationen einander nähergebracht werden, sollte von hoher Priorität in unserer Gesellschaft sein.

Wie wichtig sind Generationenkontakte für die Gesellschaft, aber auch im Sozialen für die Familien?

Auf der familialen Ebene stimmen die Generationenbeziehungen zumeist immer noch. Familien sind recht klein geworden, was mit ein Grund ist, dass man mehr Sorge zueinander trägt. Zudem bestehen autoritäre Strukturen wie früher heute kaum noch, die Generationen begegnen sich auf Augenhöhe. Auf der gesellschaftlichen Ebene jedoch gibt es zu wenige Kontakte unter den Angehörigen verschiedener Generationen. Aufgrund der beruflichen Mobilität der Eltern haben etwa viele Kinder kaum Kontakt zu ihren Grosseltern und somit zumeist auch keinen zu älteren Menschen.

…und wie verhält es sich mit Grosseltern und ihren Enkeln? 

Grosseltern sind wichtige Bezugspersonen für Kinder. Und dies in vielerlei Hinsicht: Erstens gibt es in der Schweiz viel zu wenig gute und erschwingliche Betreuungsplätze. Da verwundert es wenig, dass Grosseltern für die Betreuung der Enkel sehr gefragt sind – und Enkelkindbetreuung hat einen grossen volkswirtschaftlichen Wert. Man kann dies in Stunden oder Beträgen ausweisen; gemäss Bundesamt für Statistik entspricht diese Leistung einem Gegenwert von gut 8 Milliarden Franken. Klar, die meisten tun dies aus Liebe. Aber gerade Grossmütter, die ja den grössten Teil dieser Betreuung übernehmen, kommen dadurch in einen zweiten Vereinbarkeitskonflikt.

Sie meinen damit, dass Grossmütter dienen und ihre eigenen Bedürfnisse (schon wieder) hintenanstellen?

Genau. Einerseits wird erwartet, dass sie noch länger arbeiten. Sie werden staunen: das Durchschnittsalter von Frauen, die erstmals Grossmutter werden liegt bei Anfang 50. Und nicht bei 70 oder 80. Es sind also Frauen, die häufig noch arbeitstätig sind, die ihre betagten Eltern pflegen müssen und dazu noch Enkelkinder betreuen sollen.
Der zweite Punkt, weshalb Grosseltern so wichtig sind, liegt auf emotionaler Ebene. Sie sind wichtige Bezugspersonen, wenn die Enkel Probleme haben. So wissen wir, dass etwa bei der Scheidung der Eltern die Grosseltern als Ansprechpersonen ganz vorne stehen. Grosseltern haben zudem eine Vorbildfunktion dadurch, dass sie die ‘Hüter der familalen Geschichte’ sind.

Ein neues Thema: Das Glück der zweiten Lebenshälfte. Wie können wir selbstbestimmt unser Wohlbefinden positiv beeinflussen? 

Nebst den schon angesprochenen Charakterstärken, die sich positiv auf unser Wohlbefinden auswirken, erfährt der Glücksbegriff in der zweiten Lebenshälfte eine Neudefinition: Jüngere Menschen definieren das Glück primär über hedonistische Bedürfnisse. Es geht darum, möglichst viel Freude, Lust, Einfluss und tolle Begegnungen zu haben. Natürlich möchte man dies in der zweiten Lebenshälfte auch, aber es kommen andere Faktoren hinzu, die fürs glücklich Sein entscheidend sind: z. B. der Lebenssinn. Wieso strample ich mich ab? Wo kommen wir her? Wohin geht die Reise? Aber auch Selbstakzeptanz, positive soziale Beziehungen und Generativität.

Der Fokus geht also eher weg von den persönlichen Bedürfnissen? 

Durchaus. Generativität etwa wird mit zunehmendem Alter zu einem zentralen Anliegen. Das Wohl anderer, jenes der Nachkommen, ob verwandt oder nicht, wird immer wichtiger. Wenn wir anderen helfen können, wenn wir für die nachfolgenden Generationen etwas Gutes tun, kommen wir uns nützlich vor und das macht uns glücklich. Was ist das Gegenteil von Generativität? Selbstoptimierung. Diese macht auf Dauer einsam und führt zu Sinnleere. 
Um auf Hopp-la zurückzukommen: Grosseltern, die einen generationenverbindenden Park aufsuchen, tun für sich und für ihre Enkelkinder was Gutes, gleichzeitig entlasten sie ihre erwachsenen Kinder. Den Kindern ein gutes Vorbild sein, mit ihnen spielen, den Gleichgewichtssinn üben, so haben alle Spass. Die jüngsten, ebenso wie die älteren.

Kommen wir noch zum Thema ‘Gestaltung öffentlicher Freiräume’: Was ist aus ihrer Sicht der Mehrwert, wenn wir die ganze Bevölkerung in Themen wie ‘öffentliche Freiraumgestaltung’ miteinbeziehen? 

Erlauben Sie bitte, aber es braucht keinen Nachweis eines Mehrwerts! In Entscheidungen miteinbezogen zu werden, die einen betreffen, ist ein Menschenrecht – und dies unabhängig von Alter, Geschlecht, Nationalität oder Hautfarbe. Ich bin also dagegen, dass ein Mehrwert aufgezeigt werden muss. Dennoch gebe ich die Antwort auf die Frage: Es hat sich x-mal erwiesen, dass partizipativ gestaltete Projekte besser mitgetragen werden und erfolgreicher sind, als auferlegte. Wir wissen auch, dass in demokratischen und partizipativ orientierten Gesellschaften das bürgerliche Engagement und das Volkswohl am höchsten ist. Ein zentraler Erklärungsfaktor dafür ist, dass Menschen dann ihre Selbstwirksamkeit erleben und die Erfahrung machen, dass sie gehört werden, etwas bewirken und Mitverantwortung tragen können. Die Leute fühlen sich als einen wertvollen Teil einer Gemeinschaft. 

Beim Hopp-la Parcours ist der Gedanke dahinter jener, dass bei Kindern der Gleichgewichtssinn noch nicht ausgebaut ist, bei Menschen ab 60 nimmt dieser rapide ab. Mit dem gemeinsamen spielerischen Balancieren sollen beide mit Spass daran haben den Gleichgewichtssinn trainieren können…

Das finde ich total spannend. Die Kinder haben dabei einen körperlichen Nutzen, die Älteren ebenso – und beide ziehen auch einen sozialen Nutzen daraus. Man lernt etwas voneinander. Und letztlich hat dies auch einen gesellschaftlichen Nutzen, weil sich so die Generationen näherkommen und das verhindert negative Generationenstereotypen. Diese Art von Projekten sind es, die wir in der Schweiz noch viel mehr benötigen.